Fliegende Pferde, Pop-Art-Bananen und Hydranten mit Blümchenmuster: Street-Art hat die Städte erobert. Dabei wird nicht nur gesprayt oder getaggt. Vielerorts trifft man auf ganz besondere Eyecatcher wie Laternenpfähle mit Strickmanschetten, Mülleimer mit Monster-Augen oder ironisch verfremdete Werbeplakate. Ein kreativer Streifzug durch sechs spannende Street-Art-Städte in Deutschland.

Alles Banane

Köln

Mauern werden zu Leinwänden, auf denen sich Street-Art-Künstler im XXL-Format verwirklichen. Besonders aktiv ist die Underground-Kultur in Köln, das in Deutschland als Mekka für urbane Künstler gilt. Die höchste Dichte an Murals findet sich in Ehrenfeld. An den lokalen Szenespots auf der Körnerstraße, Lichtstraße und Heliosstraße lässt sich vor allem originelle kleinformatige Street-Art wie Sticker, Paste-ups oder Stencils, also Graffiti mit Hilfe von Schablonen, bewundern.

Eine Berühmtheit unter den Kölner Street-Art-Künstlern ist der „Bananensprayer“, hinter dem sich Thomas Baumgärtel verbirgt. Schon in den 1990er-Jahren sprühte er seine erste Banane. Mittlerweile zieren Tausende der im Pop-Art-Stil gestalteten gelben Früchte Wände in ganz Deutschland und auf der Welt. Seine Botschaft ist meist politisch, kommt stets frech daher und soll provozieren. „Die Spraybanane“, so sagt der Künstler, „ist Ausdruck meines Kampfes für die Kunst und Meinungsfreiheit“. Eine Vision, die er mit vielen Underground-Künstlern teilt.


Pink Man & Bruderkuss

Berlin

In Deutschlands trendiger Hauptstadt wurde Street-Art in den Rang eines Denkmals erhoben. Die East Side Gallery in Berlin-Friedrichshain präsentiert sich auf einem 1,3 Kilometer langen, bis heute erhalten gebliebenen Teilstück der Berliner Mauer. Der graue Wall als sichtbares Symbol der Trennung wurde von Street-Art-Künstlern aus aller Welt in ein farbenfrohes Mahnmal für Freiheit und Versöhnung verwandelt. Zu den bekanntesten Motiven zählen „Der Bruderkuss“ von Dimitrji Vrubel und ein durch die Steine brechender Trabant von Birgit Kinders.

Doch die Street-Art-Kultur in Berlin reicht weit über die Mauerkunst hinaus. Die Szene ist riesig. Auch die ganz großen Street-Art-Stars wie Banksy, Tristan Eaton, BLU und viele andere haben sich auf Berliner Mauern und Wänden ausgetobt. Urbane Kunstwerke, zum Teil von riesigen Ausmaßen, sind vor allem in den Bezirken Mitte und Kreuzberg zu finden. Eines der bekanntesten und gesellschaftspolitisch brisantesten Wandgemälde ist „The Pink Man“ von BLU. Auf den ersten Blick ein pinkfarbenes Monster, entpuppt sich das Werk bei näherem Hinschauen als eine Ansammlung von vielen hundert nackten Menschen, die sich aneinander klammern.


Seebär in XXL

Hamburg

Street-Art erzählt die Geschichte einer Stadt aus einer neuen Perspektive, die sich von den Ausdrucksformen des etablierten Kunstbetriebs abgrenzt. Wer etwa in Hamburg durch Altona, das Gängeviertel, St. Pauli oder Ottensen schlendert, stößt überall auf maritime Murals, die vom Leben in der Hansestadt erzählen. So schaut in einem Hinterhof der Sternschanze ein überlebensgroßer „Seebär“ mit Ringelshirt und Rauschebart im Großformat von der Mauer. An der Hauswand nahe der Reeperbahn, streiten zwei Riesenmöwen um einen leckeren Happen. Und auch dem „blonden Hans“ wurde ein Street-Art-Denkmal gesetzt. Gemeint ist Hans Albers, jenem blonden Kerl mit Schifferklavier, der mit Inbrunst das Meer sowie die Sehnsucht der Matrosen besang und das Image des Hamburger Rotlichtviertels prägte.


Hall of Fame

Frankfurt

Manchem gilt es als Sachbeschädigung, für andere ist es Kunst, wenn Stromkästen, Brücken Betonpfeiler und Hydranten mit Graffiti, Plakaten, Stickern oder Schablonenkunst verziert werden. Früher ging man hart gegen die Sprayer vor, heute erkennt man sie vielfach als Künstler an und zeigt sich entspannter im Umgang. Mancherorts entschied man sich kurzerhand, den urbanen Sprayern ausgewiesene Flächen zur kreativen Gestaltung freizugeben. Die Hall of Fame am Ratswegkreise in Frankfurt zählt dazu. Unzählige Graffitis – von witzig über revolutionär bis satirisch – haben dort ein Feuerwerk urbaner Kunst gezündet. Doch auch jenseits dieses Areals lässt sich Staunenswertes entdecken. Als Hommage an den Finanzstandort Frankfurt entstand an der Friedberger Landstraße das dynamische und farbenfrohe Mural „Bulle und Bär“. Unbedingt einen Besuch wert sind die „Fliegenden Pferde“ des weltberühmten Graffiti-Künstlers Andreas von Chrzanowski a.k.a.Case Ma'Claim am Ostbahnhof. Sein Thema ist die Visualisierung von Bewegung. Sein wiederkehrendes Motiv der „Laufenden Hände“ findet sich in Amsterdam, Basel und in Frankfurt an der S-Bahn-Station Ostendstraße.


Farm der Tiere

Leipzig

Ist das Kunst oder kann das weg – dieses geflügelte Wort beschreibt das Verhältnis vieler zur modernen Kunst und damit auch zur Street-Art. Immer mehr Betrachter wertschätzen die kleinen Kunstwerke, die das oft graue Erscheinungsbild einer Stadt verschönern. Auch in Leipzig, der angesagten Metropole in Sachsen, kommen immer häufiger Pinsel, Malerrollen und Sprühdosen zum Einsatz und machen weder vor Mülleimern, Ampeln oder Verkehrsschildern Halt. Vielversprechende Street-Art-Viertel sind Connewitz, die Südvorstadt und Plagwitz. Häufig werden politische Sujets thematisiert, so etwa das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer. 12 Künstler arbeiteten an einem Werk an der Ecke Arno-Nitzsche-/Bernhard-Göring-Straße in Connewitz, das die Kernaussage der Fabel „Farm der Tiere“ von George Orwell zum Titel hat: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“


Skandal um Wholetrain

München

Street-Art ist die Kunstform des 21. Jahrhunderts: spontan, unverblümt und angesiedelt im urbanen Umfeld. Auch in München kommen viele Kunstwerke aus der Dose – ganz einfach auf der Straße zu bewundern, ohne Eintritt und Öffnungszeiten. Manche tauchen auf und verschwinden wieder, andere bleiben – so sind die Gesetze dieser neuen aufregenden und sich ständig wandelnden Kunstform. München kann sich sogar rühmen, einer der Vorreiter zu sein. Als die Street-Art-Welle in den 1980er-Jahren aus New York nach Europa schwappte, gingen die Münchner Straßenkünstler gleich zur Sache – noch vor Berlin. Schon 1985 besprühte ein Münchner Schüler zusammen mit Freunden eine S-Bahn von oben mit unten mit Graffitis. Er wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt – gilt aber heute unter dem Namen „Loomit“ als Star unter den Street-Art-Aktiven. An vielen Orten Münchens finden sich frische Styles urbaner Kunst. Manches kommt ausgesprochen politisch daher. So etwa das Werk „Paint it black“ von Shepard Fairey, der sich mit diesem Mural, das eine Öldose in einer hohlen Hand zeigt, mit den Ölkonzernen anlegt. München hat sogar eine Street-Art Citymap erstellt, die Besucher zu den spannendsten Kunstwerken führt.